Blogreihe "Zwischen den Fronten" - Blogpost 2: Bin ich eine Heldin?
Was haben Floria Lind, Dr. Meredith Grey und James Bond gemeinsam? Sie sind alle Leinwand Helden-Figuren einer Berufsgruppe. Natürlich habe auch ich den Film „Heldin“ im Kino geschaut

Was haben Floria Lind, Dr. Meredith Grey und James Bond gemeinsam? Sie sind alle Leinwand Helden-Figuren einer Berufsgruppe. Natürlich habe auch ich den Film „Heldin“ im Kino geschaut. Zugegeben, der Film «Heldin» hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich hatte viele Flashbacks und sah mir irgendwie «selber zu» - so ging es vermutlich den meisten Pflegefachpersonen. Teilweise hatte ich sogar etwas feuchte Augen, während dem ich Floria’s Dienst auf der Leinwand folgte. Nicht, weil Floria einen gestressten Dienst hatte und ich sie resp. mich/uns bemitleidet habe. Sondern auf der Grossleinwand zu sehen: „Wow, ja, genau das sind wir – wir Pflegefachpersonen!“ Der Film zeigt auf was unsere grosse Kunst und extrem schwer im Alltag zu jonglieren ist: nämlich an mehreren Orten «gleichzeitig» mindestens mit dem Kopf zu sein. Als der Film-Abspann kam, passierte etwas «Komisches». Nicht wie sonst im Kino stehen die Leute auf und vertiefen sich in Gesprächen. Ganz im Gegenteil, wie gelähmt bleiben für mindestens 30 -60 Sekunden alle stumm im Saal sitzen.
Im Film und im echten Leben: Auf der Suche nach unseren Helden aka Rollen-Vorbilder?
Wir alle kennen sie: Dr. House, Grey’s Anatomy und Emergency Room. Mindestens eine dieser Serien hat jede/r der heute Arzt/Ärztin ist früher geschaut und vermutlich gedacht: „Wow, so will ich auch werden“ – und sind wir mal ehrlich, all diese Serien sind extrem dramatisch und könnten ebenso „abschreckend“ sein. Krasse Hierarchien, Überstunden, schlechte Bezahlung, kein Privatleben. Die Ärzteschaft in diesen Serien hat also mehr Down‘s als Up’s. Ich habe diese Serien in meiner Jugend geliebt und verfolgt. Und es hat in mir zu keinem Zeitpunkt ausgelöst: „Oh mein Gott, niemals will ich im Krankenhaus arbeiten“. Ganz im Gegenteil. Es hatte eben etwas „Heldenhaftes“. Einzige Kritik rückblickend: leider sind in diesen Serien die Pflegefachpersonen immer, wenn sie denn überhaupt vorkommen, nur in den Nebenrollen. Beim Film „Heldin“ ist das völlig anders – dort steht mal die Pflegefachfrau im Vordergrund. Und bevor wir jetzt darüber diskutieren, ob die Bezeichnung „Held:in“ übertrieben ist, vergessen wir bitte nicht: bei James Bond (ein «Polizist»), Robin Hood (ein Aufständischer) und Luke Skywalker (ein Rebell) hinterfragt auch niemand, ob das Helden sind. Sie setzen sich halt wie wir auch für das „Gute“ ein. Im Film als auch im echten Leben suchen wir doch alle nach unseren Helden und Heldinnen. Oder anders gesagt: wir suchen nach «Rollen-Vor-Bilder»!
Ich bin überzeugt, dass dieser Film den Berufsstolz fördern kann. Mich und meine Begleitung (ebenfalls langjährige Pflegefachfrau) hat es trotz des nicht wirklich vorhandenen Happy End positiv stolz gemacht. Denn ja, ab und zu haben wir genau solche Dienste. Aber gleichzeitig auch so viele wunderbare und „heldenhafte“ Momente. Für uns ein klares Fazit: obwohl wir schon oft dachten „Phuu würde ich diesen Beruf wieder wählen?“ sagten wir immer wieder und heute erst recht „JA, JA und nochmals JA!“
Die Pflege braucht eine neue Sozialisierung
Wie schon öfters erwähnt, geht es meines Erachtens darum, dass es endlich Zeit wird, dass der Pflegeberuf eine neue „Sozialisierung“ erlebt.
Wir wissen ja unterdessen, dass bis 2029 ein Bedarf an Nachwuchs von rund 43.400 diplomierten Pflegefachfrauen und -männern der Tertiärstufe und 27.100 Personen der Sekundarstufe II, z.B. Fachpersonen Gesundheit, besteht (Pensionierungen und frühzeitige Berufsaustritte miteinberechnet). Gleichzeitig zeigen die Zahlen heute schon, dass circa 40% den Beruf frühzeitig verlassen. Quelle: BAG, Faktenblatt Bestand und Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal vom 8. Mai 2024.
Der grosse Bedarf künftig ist an viele Faktoren geknüpft wie demographischer Wandel (Menschen werden älter, kränker), eine geburtenstarke Generation geht in Pension usw. Natürlich ist das auch besorgniserregend, aber ja, nicht’s Neues. Das wissen wir ja schon seit Jahrzehnten. Was mich eher beunruhigt, ist, dass wir 40% „Berufsaussteiger:innen“ haben und wir das sogar bereits schon in den künftigen Bedarf einkalkulieren! Das klingt für mich schon fast nach «aufgeben». Ist halt so. Die Frage sollte doch heissen: Wie behalten wir diese 40% oder wenigstens einen Teil davon im Beruf? Ja ich weiss mit der Etappe 2 der Pflegeinitiative sollte das angegangen werden. Aber meiner Meinung nach, greift das einfach zu wenig weit. Respektive ist es eine Symptombehandlung und nur teilweise Ursprungsbehandlung. Besonders wenn ich die Diskussionen rund um die Etappe 2 und die harten Fronten dabei verfolge.
Ein aktuelles Praxis-Beispiel bei WeNurse:
Wir haben eine tolle, engagierte junge Pflegefachfrau. Bei der Rekrutierung sagte sie mir bereits: „Ich werde maximal 7 Monate bei euch arbeiten, danach mache ich ein Vollzeit-Studium und lasse mich umschulen. Ich möchte die letzten Monate in der Pflege aber noch etwas für die Pflege tun, euer Konzept scheint so aufgesetzt zu sein.“ Diese junge Frau hat die FAGE-Ausbildung als auch die HF-Ausbildung zur Dipl. Pflegefachfrau HF gemacht. Also um es in Zahlen zu nennen: 3 Jahre Berufslehre, 3 Jahre HF-Studium, 4 Jahre ausgelernt gearbeitet. 6 Jahre Ausbildung für gerade mal 4 Jahre Berufstätigkeit. Leider kein Einzelfall.
Letzte Woche der Telefonanruf: „Alessia, ich halte es einfach nicht mehr aus! Nicht mal diese wenigen Monate.“ Mein allererster Gedanke war: „Reiss Dich zusammen, es ist absehbar.“ Wir haben ein sehr gutes und intensives Gespräch geführt. Vermutlich wird sie diese Monate in der Pflege doch noch „durchziehen“, aber wie konnte es so weit kommen, dass dies so eine Qual ist? Die Zustände, die sie mir geschildert hat, wurden seitens Institution als auch anderen Mitarbeitenden vor Ort bestätigt.
Das Traurige an der oben beschriebenen Situation ist: Es geht nicht nur um die „strengen Dienste“, das fehlende Personal. Da könnte (wenn «man» will) ja was machen. Hier geht es um die Kultur, um das Zusammenarbeiten, um den gegenseitigen Respekt. Es ist die Hilflosigkeit, das Gefühl im Hamsterrad zu sein. Aus diesem Hamsterrad ausbrechen können aber nur wir selbst – wir, die Pflegefachpersonen. Natürlich mit Hilfe politischer Stossrichtungen, mit Support anderer Berufsgruppen, all jener, die die Pflege mitstärken wollen. Aber im Endeffekt sind WIR es, die es angehen können, nein müssen, und nicht abwarten, bis es andere (Politik und Co.) richten. So funktioniert leider das (Berufs-) Leben nicht.
…und was jetzt?
Wir tun schon vieles. Individuell, als auch der Berufsverband und auch einige vorbildliche Institutionen. Aber etwas, was zu wenig Fokus erhält, um unsere Position wirklich zu stärken ist es, aufzuzeigen, welchen wirtschaftlichen Wert eine qualitative hochstehende Pflege bringt. Ich weiss, für viele ist „Pflege und Wirtschaft/Unternehmertum“ eine unvorstellbare Kombination. Das lassen mich auch Berufskollegen teilweise spüren. Und doch lasse ich mich nicht davon abhalten, Pflege und Wirtschaft/Unternehmertum näher zueinander zu bringen. Denn ich bin mir sicher, dass dies der unvermeidbare Weg ist, nicht länger als die „Mutter Theresas“ und lieben Hilfen der Ärzte wahrgenommen zu werden und gleichzeitig der Politik die Angst zu nehmen, dass wegen uns Mengenausweitung und noch höhere Kosten folgen. Denn ich bin überzeugt, würden Pflegefachpersonen (und auch andere Berufsgruppen) richtig eingesetzt (Kompetenzen und Verantwortung), wäre unser System aus finanzieller Sicht in einer besseren Verfassung. Verweis auf Blogpost 1 „Kostenexplosion“. (1) Blogreihe "Zwischen den Fronten" - Blogpost 1: Kostenexplosion im Schweizer Gesundheitswesen: einige Gedankenspiele | LinkedIn
Am Mittagstisch diskutiert: auf die Frage «Was passiert den bei Personalmangel?» - Antwort: «Ja, dann können wir Tätigkeit XYZ (meistens Betreuungs-Aufgaben Beispiele) nicht machen!» Ich sage «nein, dann werden Menschenleben gefährdet. Es muss nicht immer mit dem Tod enden, aber selbst jede unnötige Komplikation, ist eine zu viel!»
Gerade eine spannende Studie «Simon» entdeckt, wo folgende Fakten beschrieben wurden:
- Mit 10% mehr Dipl. Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege (Mehrkosten an Löhne: 51 Millionen/Jahr) könnten jedes Jahr 1.5 Milliarden eingespart werden!
- Sinkt der Anteil an Dipl. Pflegefachpersonen unter 75% im Akutspital wird es für Patienten und Patientinnen gefährlich bis lebensgefährlich
-Gesamthaft lassen sich durch genügend ausgebildetes Personal 500 Millionen Franken einsparen aufgrund weniger Komplikationen und kürzere Liegedauer im Spital. Darin nicht eingerechnet die volkswirtschaftlichen Einsparungen, indem Patienten und Patientinnen wieder schneller im Arbeitsalltag integriert sind
- Man geht davon aus, dass mit adäquaten Personaldotation 243 Todesfälle/ Jahr vermeidbar wären.
Quelle: Studie Simon (sbk-asi.ch/assets/Dokumente-PDF/03_Pflege_Arbeit/Pflege/2009_DE_Titelthema_Simon_komplett.pdf)
Wir können die aktuellen Mechanismen nicht komplett selber ändern, aber wir können Teil der Gestalter:innen werden, indem wir smart und strategisch agieren und uns an die Tische der Entscheider:innen setzen und mitmischen. Und zwar nicht als Gegner:innen, sondern als Partner:innen. Zeigen wir, was wir können, stehen wir mit unserer vollen Kompetenz da und sind, wie es Helden sind, stolz darauf, wer wir sind und was wir tun. Und argumentieren wir auch wirtschaftlich und unternehmerisch.
James Bond und Dr. House würden sich nie selber „kleiner“ machen, als sie tatsächlich sind. Aber sie alle gehen Risiken neuer Wege ein, um ihre Ziele zu erreichen und warten niemals einfach ab, bis es andere für sie lösen.
Bin ich jetzt eine Heldin?
Held:innen retten die Welt – ich möchte den Pflegeberuf retten. Vielleicht bin ich keine Heldin im klassischen Sinne, aber eine Wegbereiterin. Statt darauf zu warten, dass andere Veränderungen anstossen, nehme ich sie selbst in die Hand. Ich bin überzeugt, dass es neue Perspektiven braucht, damit die Pflege ihre volle Stärke entfalten kann. Deshalb arbeite ich nicht nur in der Pflege, sondern auch an ihrer Zukunft. Dafür stehe ich und bin gerne bereit, Fronten aufzuweichen und gemeinsam neue Wege und Lösungen für das Gesundheitswesen Schweiz zu finden.
Eine wichtige Anmerkung: ich bin weder Journalistin noch Wissenschaftlerin. Der Blog basiert auf meinen Erfahrungen und persönlichen Gedankengängen. Er erhebt keinen Anspruch auf fertige Lösungen oder was «Richtig und Falsch» ist, sondern soll zum Nachdenken anregen.
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