Blogreihe "Zwischen den Fronten" - Blogpost 7: Pflegeausbildung: Zwischen Bürokratie, Hoffnung – und ganz viel Rosa
Es ist wieder so weit: Die nächste Generation an Fachpersonen Gesundheit (FaGe) und Assistent:innen Gesundheit und Soziales (AGS) startet in die Berufslehre. Auf LinkedIn wimmelt es vor freudigen Gesichtern, stolzen Betrieben und engagierten Nachwuchstalenten. Die Stimmung? Optimistisch! Und das, obwohl die Pflege aktuell nicht gerade als 'Traumberuf' gilt.

Doch die Zahlen überraschen: Die FaGe-Lehre gehört zu den Top 10 der beliebtesten Ausbildungen in der Schweiz. Das macht Hoffnung. [Quelle: Organisator](https://www.organisator.ch)
Dank der Etappe 1 der Pflegeinitiative tut sich auch auf HF-Stufe was: Immer mehr wagen den Schritt in die HF Ausbildung – mit Unterstützung der Kantone. Die Fördergelder greifen nun offiziell. Endlich! Übersicht zur Umsetzung:(https://www.swissnursingstudents.ch/resources/SNS_Uebersicht-Kantone-Umsetzung-Foerderbeitraege-an-Studierende_25_29_013.pdf) (https://www.gdk-cds.ch/fileadmin/docs/public/gdk/themen/gesundheitsberufe/nichtun._gesundheitsberufe/TB_Links_Kantone_Umsetzung_PI.pdf) Auch wenn eine abschliessende Bilanz noch fehlt – dieser Schritt war längst überfällig.
Ausbildung kostet – zu Recht! Einige kritisieren die «neuen» hohen Kosten für Erwachsenenbildung in der Pflege. Aber: In anderen Berufsgängen (z. B. eidg. Berufsprüfungen) ist finanzielle Unterstützung durch den Staat seit 2018 völlig normal. Gleiches Geld, anderer Weg. Same same but different, wie man so schön sagt. Denn: Wer sich für einen anspruchsvollen Pflegeberuf entscheidet, soll das auch tun können – ohne dabei finanziell unterzugehen.
Theorie ist gut - Praxis ist Gold wert
So wichtig die Schule auch ist: In der Pflege zählt die Praxis mindestens genauso viel. Und genau hier zeigt sich, ob eine Ausbildung wirklich funktioniert.
Vor 18 Jahren stand ich selbst zum ersten Mal auf der Station. Empfangen wurde ich von einem grossartigen Team: Anna (Bildungsverantwortliche), Emma (Pflegedienstleitung) – und Rosa, meiner Berufsbildnerin im 1. Lehrjahr. (Namen geändert – aber die Erinnerungen sind echt.) Ich war neugierig – und nervös. Der Einstieg war klar strukturiert, wertschätzend und vor allem: teamgetragen. Niemand schob mich 'zur Seite' – alle fühlten sich mitverantwortlich. Denn klar war: Wir Lernenden sind die Zukunft.
Die Rosa-Regel: Pflege mit Haltung
Rosa war Pflegeassistentin SRK. Kein Diplom, kein Titel. Aber sie hat mir beigebracht, was es heisst:
- Verantwortung zu übernehmen
- klare Kommunikation zu leben
- im Team zu funktionieren
- sich auch mal abzugrenzen
Ein Satz von ihr ist mir bis heute geblieben: „Mit dem Einwurf der Kleidung lässt du alles, was mit der Arbeit zu tun hat, hier.“ So einfach. So menschlich. So wichtig. Heute würde man das „Resilienztraining“ nennen – Rosa nannte es Alltag.
Und heute? Rosa dürfte das gar nicht mehr
Drei Jahre nach meinem Lehrstart änderten sich die Vorgaben. Pflegeassistent:innen wie Rosa dürfen keine 1. Lehrjahr-Lernenden als Berufsbildner:in mehr betreuen. Warum? Weil sie:
- keine gleichwertige Ausbildung haben
- keinen Berufsbildnerkurs vorweisen können
- oder kein SVEB-Zertifikat besitzen
Natürlich ist pädagogisches Know-how wichtig. Aber: Ersetzen Titel wirklich Erfahrung, Haltung und Menschlichkeit?
Und mal ehrlich: Müssen Oberärzt:innen eigentlich auch einen Ausbildnerkurs machen, um Assistenzärzt:innen anzuleiten? (Soweit ich weiss: nein.)
Die Folge: Kompetenz, die niemand nutzt
Viele erfahrene Pflegepersonen und auch Pflegefachpersonen verzichten auf die Funktion als Berufsbildner:in. Der Grund: zu viel Bürokratie, zu hohe Anforderungen und vor allem zu wenig Zeit für die Ausbildung. Damit geht verloren:
- gelebtes Wissen
- praktische Erfahrung
- Vorbilder wie Rosa
Wir riskieren, dass Ausbildung immer theoretischer – und damit immer realitätsferner wird.
Und nun auch das noch…Bonus-Malus-System – gut gedacht, schlecht gemacht?
Die Pflegeinitiative bringt auch finanzielle Anreize: Wer ausbildet, wird unterstützt. Wer nicht ausbildet, zahlt. Klingt fair. Aber:
Was, wenn sich niemand ausbilden lassen will, obwohl der Betrieb es möchte?
Was, wenn die Berufsschule keine Kapazität hat?
Was, wenn die Betriebe keine Berufsbildner:innen haben?
Beispiel Kanton Thurgau:
- Fehlende Studierende: ca. 120 Personen
- Malus für oft unfreiwillige „Nicht-Ausbildungsbetriebe“: geschätzt 10 Mio. CHF
Medinside - Das Portal für die Gesundheitsbranche
Blick nach vorne
Etappe 2 der Pflegeinitiative – und wer zahlt?
Im Herbst 2025 geht’s in die nächste Runde: Parlamentarier debattieren über Massnahmen zur Steigerung der Berufsattraktivität.
Wie verhindern wir, dass fast jede zweite ausgebildete Pflegefachperson den Beruf wieder verlässt? (ca. 40%)
Aber die wahre Hauptfrage, über welche unsere Politiker diskutieren, lautet: Wer bezahlt das???
In meinem nächsten Blog – kurz vor der Session (3. bis 21. September) – schlage ich ein paar pragmatische Ideen zur Finanzierung vor. Keine Steuererhöhungen garantiert. Stay tuned.
Trotz scheinbar zu vieler politisch gemachter Hürden gibt es echte Lichtblicke. Beispiel: Das Stadtspital Zürich wird mit der „Ausbildungsstation 365“ ein Modell testen, das Ausbildungsqualität neu denkt. (https://www.stadtspital.ch/ausbildungsstation365)
Ein starkes Signal – auch wenn ich persönlich hoffe, dass Ausbildung wieder stärker ins Stammpersonal integriert wird. Nicht als Sonderfall. Sondern als Normalität.
Fazit
Pflege braucht gute Ausbildung. Aber sie braucht auch Mut, Menschlichkeit und Machbarkeit. Was wir nicht brauchen:
- Überregulierung
- Checklistenfetisch
- Bildung, die am Alltag vorbeigeht
- Wir brauchen auch die Rosas stellvertretend für das gesamte Team.
- Und ein System, das sie nicht ausschliesst.
❗ Eine wichtige Anmerkung: ich bin weder Journalistin noch Wissenschaftlerin. Der Blog basiert auf meinen Erfahrungen und persönlichen Gedankengängen. Er erhebt keinen Anspruch auf fertige Lösungen oder was «Richtig und Falsch» ist, sondern soll zum Nachdenken anregen.
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