Blogreihe „Zwischen den Fronten“ – Blogpost 9: Krankenkassenprämien 2026: Kein Schock, sondern ein Weckruf
Es ist wieder Herbst – und mit ihm kommt die alljährliche Nachricht: Der Bundesrat verkündet die neuen Krankenkassenprämien. Für 2026 steigen sie um +4,4 %. In den Medien ist sofort vom „Prämienschock“ die Rede. Familien sorgen sich, Politikerinnen und Politiker überbieten sich mit Schuldzuweisungen.

Doch nicht nur sie – auch in der Gesellschaft selbst wird schnell mit dem Finger gezeigt: auf die Krankenkassen, auf die Spitäler, auf die Ärzt:innen, auf die Pharma und natürlich auf „die Politik“.
Dabei dürfen wir alle aber nicht vergessen: Die strukturellen Probleme und Fehlanreize entstehen nicht nur bei den grossen Playern, sondern auch in unserem eigenen Verhalten als Individuen.
Nun ja, es ist, wie es ist und wird wohl auch 2026 nicht anders sein. Denn wir haben ein ganz anderes Thema, das zwar auch gross diskutiert wird, aber nicht lösbar ist: die demografische Realität.
Der aktuelle Obsan-Bericht 2025 spricht zwar nicht explizit von einer „demografischen Lawine“ – aber die Zahlen zeichnen genau dieses Bild:
- Der Pflegebedarf steigt bis 2040 um +43 % – das sind rund 140’000 zusätzliche Menschen, die Betreuung benötigen.
- Der Bedarf an Pflegeheimplätzen wächst um 50 % – rechnerisch über 600 neue Heime.
- Die Spitex muss zusätzlich 7,6 Mio. Stunden leisten – was rund 7’400 neue Vollzeitstellen bedeutet.
Und wichtig: Diese Prognosen betreffen nur Alters- und Langzeitpflege und Spitex. Spitäler sind darin nicht einmal berücksichtigt. Wer die Realität kennt, weiss: Auch dort wird der Bedarf kaum sinken – ganz sicher nicht mit dem System, wie wir es heute haben.
Das viel zitierte Schlagwort „ambulant vor stationär“ ist unter den heutigen regulatorischen Bedingungen noch weit davon entfernt, echte Entlastung zu bringen. Verlagerungen sind punktuell möglich, aber die Gesamtkosten verschwinden dadurch nicht – sie verschieben sich lediglich. Für Spitex und Angehörige bedeutet das: mehr Belastung, ohne dass die strukturellen Probleme gelöst werden.
Was wir ändern müssen
Wenn wir nur über Symptome diskutieren, werden wir scheitern. Schon in meinem ersten Blog zur Kostenexplosion habe ich betont, dass wir endlich out of the box denken müssen. Das bedeutet zum Beispiel:
- Neue Versorgungsmodelle: Hybride Alterszentren, die Wohnen, Pflege und soziale Teilhabe verbinden.
- Nachhaltige Finanzierung: Lösungen, die nicht nur Infrastruktur, sondern vor allem Menschen sichern
- Prävention statt Reaktion: Solange unser System vor allem das „Reparieren“ belohnt, bleiben wir in der Kostenfalle. Prävention muss endlich eine echte Option sein – auch wenn sie heute noch zu selten vergütet wird.
Solidarität braucht Eigenverantwortung
Die Schweiz lebt Solidarität – und das ist gut so. Aber Solidarität darf nicht nur finanziell verstanden werden. Sie muss auch bedeuten, Verantwortung für das eigene Gesundheitsverhalten zu übernehmen.
Das heisst: Prävention ernst nehmen, auch wenn sie nicht sofort bezahlt wird. Auf unnötige Behandlungen verzichten, wenn die Franchise aufgebraucht ist. Und sich bewusst machen, dass der Satz „Ich zahle ja so viel, also habe ich etwas zugut“ gefährlich und aus meiner Sicht auch klar falsch ist.
Bei keiner anderen Versicherung denken wir so. Niemand würde etwas überspitzt formuliert absichtlich sein Auto kaputt machen, nur weil die Vollkasko dann zahlt. Warum also bei der eigenen Gesundheit?
Wir leben (zum Glück!) in einer Demokratie und eine Demokratie lebt von Eigeninitiative, nicht von permanenter Delegation. Wenn wir erwarten, dass „die Politik“ oder „das System“ alles richtet, geben wir nicht nur Verantwortung ab, sondern schwächen auch die Gesellschaft und unsere persönliche Freiheit. Veränderung beginnt bei uns selbst – als Patient:innen, als Bürger:innen, als Berufstätige.
Fazit: kein Schock, sondern ein Auftrag
Der Prämienanstieg 2026 ist kein Schock. Er ist ein Weckruf. Ein Weckruf, endlich Prioritäten zu setzen, mutig richtig in Personal zu investieren (was ich damit meine könnt ihr ebenfalls in meinen Blogs lesen) und Solidarität mit Eigenverantwortung zu verbinden.
Denn die demografische Entwicklung lässt keinen Zweifel: Die Herausforderungen kommen – ob wir wollen oder nicht. Wenn wir weiterhin nur Symptome behandeln, werden wir bald nicht nur über steigende Prämien und deren Symptome reden, sondern im Alltag erleben: fehlende Pflegeplätze, fehlendes Personal und ein System, das seine Versprechen nicht mehr halten kann.
Ich bleibe überzeugt: Die Schweiz kann diese Herausforderung meistern – wenn wir bereit sind, über kurzfristige Schlagzeilen hinauszudenken, Verantwortung zu übernehmen und Innovation nicht als Risiko, sondern als Chance zu sehen.
Eine wichtige Anmerkung: ich bin weder Journalistin noch Wissenschaftlerin. Der Blog basiert auf meinen Erfahrungen und persönlichen Gedankengängen. Er erhebt keinen Anspruch auf fertige Lösungen oder was «Richtig und Falsch» ist, sondern soll zum Nachdenken anregen.
Quellenhinweise:
- Obsan Bericht 09/2025: Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz bis 2040
- Eigener Blogbeitrag Nr. 1: Kostenexplosion im Schweizer Gesundheitswesen (Februar 2025)
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