HEGEN UND PFLEGEN

Mit We Nurse will Alessia Schrepfer nachhaltigeVerbesserungen im Schweizer Pflegesystem ermöglichen.Dabei setzt sie auf Qualität vor Quantität, und aufunternehmerisches Denken – denn auch die 30 Mitarbeitersind alle Mitaktionäre. Das ist nicht immer einfach;doch wer grosse Veränderungen bewirken will, mussden harten Weg gehen.

Forbes
April 2024

Text: Klaus Fiala

Fotos: Maria Truog

Wie gross der Bedarf an neuen und klugenLösungen in der Pflegebranche ist, zeigte eineetwas aus den Dimensionen geratene PR-AktionMitte Mai: We-Nurse-Gründerin Alessia Schrepfer hatte sich mit dem Team von Kybun Joya zusammengeschlossen, um anlässlich des Tags derPflege ein paar Hundert Pflegekräften bequemeSchuhe zu schenken. Statt der erwarteten rund1.000 Bestellungen meldeten sich in kürzesterZeit aber 10.000 Pflegefachfrauen. Die SchuhUnternehmer Karl Müller und Claudio Minder sahen sich plötzlich mit Lieferengpässen undhohen Kosten konfrontiert: Rund zwei Mio. CHFbetrug alleine der Warenwert der Schuhe, Versand und weitere Kosten kamen noch dazu. IhrVersprechen wollten die Initiatoren aber dennochhalten.

Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie gross dieHerausforderungen in der Pflegebranche geworden sind. In einer Gesellschaft, die nicht nur immer älter wird, sondern in der die Menschen auchimmer länger leben, gilt die Bereitstellung vonPflegedienstleistungen eigentlich seit Jahrzehntenals Herausforderung. Alleine in der Schweiz wirdder Mangel an Pflegekräften bis 2030 zwischen20.000 und 30.000 Personen betragen.

Alessia Schrepfer kennt die Probleme, warsie doch selbst viele Jahre in der Pflegebrancheaktiv. Doch statt nur zuzusehen, will die Unternehmerin nachhaltige Veränderungen bewirken.Um das zu schaffen, gründete sie Ende 2022 gemeinsam mit Simon Hodel die We Nurse AG.Veränderung will das Start-up mit seinen rund30 Mitarbeitern auf zwei Arten erreichen: einerseits im sogenannten «Body-Leasing», also beimVerleihen von Personal in Pflegeberufe, um Gesundheitseinrichtungen hoch qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen; und anderseits alsBeratungsunternehmen, das seine Expertise anbietet, um Gesundheitsbetrieben langfristig zuhelfen, bessere Bedingungen und Ergebnisse inder eigenen Pflegearbeit zu erzielen.Schrepfers Motto dabei: «Qualität vor Quantität.» Egal ob im eigenen Recruitingprozess oderbei der Auswahl der Aufträge – die Unternehmerin will darauf achten, dass We Nurse qualitativdie beste Arbeit abliefert. Explosives Wachstumist nicht ihr Ansatz, obwohl es durchaus Möglichkeiten gäbe, das zu erreichen.

Damit wählt Schrepfer einerseits den langsameren und wohl auch steinigeren Weg, sie istaber überzeugt, dass dieser Ansatz gewährleistet,langfristige Veränderungen zu erwirken, statt nurkurzfristige Profite zu erreichen. Und obwohl WeNurse erst ganz am Anfang steht, sind die Ambitionen des Unternehmens gross: 400 Mitarbeiterwill We Nurse bis Ende 2026 in der Schweiz erreichen. Das würde ein jährliches Wachstum vonüber 200 % bedeuten. «Wir haben das Ziel ganzbewusst kommuniziert, wissen aber, dass das extrem ambitioniert ist. Vielleicht brauchen wir auch länger. Die 400 Mitarbeiter wollen wir je-denfalls erreichen», so Schrepfer.Um in die Nähe dieser Zahl zu kommen,müsste das Unternehmen sich jährlich verdop-peln. 2023, im ersten vollen Geschäftsjahr, be-trug der Umsatz eine Mio. CHF. Dieses Wachs-tum annehmend, würden die Erlöse 2026 beirund 13 Mio. CHF liegen, Skaleneffekte nicht miteingerechnet. Doch nicht nur bezüglich des Zu-gangs, auch in anderer Hinsicht ist We Nurse einungewöhnliches Start-up – denn Schrepfer undHodel beteiligen ausnahmslos alle Mitarbeiteram eigenen Unternehmen, vergeben also Stamm-aktien. Schrepfer vergleicht den Zugang mit demin Anwaltskanzleien typischen Partnersystem:«Unsere Mitarbeiter sind alle Miteigentümer.Wir treffen daher auch regelmässig in sogenann-ten Nurse Community Boards zusammen, wo derGeschäftslauf, die Finanzen etc. präsentiert, ana-lysiert und besprochen werden.» Dass die Pflege-branche trotz neuer Zugänge und guter Ideen einKoloss ist, der nicht ganz einfach zu verändernsein wird, ist Schrepfer aber auch bewusst; dochdavor fürchtet sie sich nicht: «Wer etwas ändernwill, muss anpacken. Reden alleine genügt nicht.»

Wenn es um nachhaltige Veränderungen inder Branche geht, ist Schrepfer eindeutig: DasProblem von Engpässen in der Pflege lasse sichnicht lösen, indem nach mehr Personal gerufenwird. «Diese Personen sind schlicht nicht da», soSchrepfer. «Wir müssen andere Lösungen findenund unsere Prozesse anpassen, wenn wir die Be-dingungen verbessern wollen.»Ihre Kunden – oder «Partner», wie Schrep-fer sie nennt – sind Spitäler, Pflegeheime, RehaKliniken oder Spitex (spitalexterne Hilfe undPflege). Um hier nicht nur Symptombekämpfungzu betreiben, setzt Schrepfer für die Zukunftauch stark auf die Beratungskomponente deseigenen Unternehmens: Diese Aufträge gehenvon der Optimierung von Prozessabläufen überTalentmanagement bis hin zu «FeuerlöschAktionen», wenn etwa Führungskräfte mit vielWissen von einem Tag auf den anderen dasUnternehmen verlassen. We Nurse spricht von«Beratung on the Job», da die We-Nurse-Mitarbeiter nicht nur Berater sind, sondern auch mitanpacken. Schrepfer: «Eine Kollegin, die aktuellim Einsatz ist, arbeitet 50 % Pflegeschichten, unddie anderen 50 % ist sie mit Projektarbeit vorOrt beschäftigt.» Der Vorteil: Die Änderungenkönnen von den Beratern in Echtzeit überprüftwerden – also von Personen, die den Pflegejobkennen und können.Abgerechnet wird stunden- oder tageweise,wobei Schrepfer betont, dass die Einsätze beiklassischem Pflegepersonal mindestens einen Monat dauern müssen. Die Beratungsaufträgedauern unterschiedlich lang und sind demnachauch unterschiedlich umfangreich. Während dieAufträge im Body-Leasing die Kapazitäten deutlich übersteigen, ist die Beratungsschiene aktuellnoch im Aufbau. Schrepfer: «Das haben wir erstkürzlich lanciert und sind gerade dabei, es bekannt zu machen.» Die Aufmerksamkeit, die insbesondere sie selbst geniesst, hilft dabei natürlich: 2024 wurde sie vom Swiss Economic Forumzur «Jungunternehmerin des Jahres» gekürt.Ihre Mitarbeiter kommen allesamt aus derPflegebranche, haben einschlägige Ausbildungenund grossteils auch Zusatzausbildungen; teils auchFührungserfahrung. «Unsere Kollegen bringen einGrundverständnis und Kenntnisse für die tatsächliche Materie mit, denken dabei aber gleichzeitigwie Unternehmer», sagt Schrepfer. Doch das Beratungshandwerk kann und soll dennoch nicht jeder ausüben, wie sie betont: «Wer Führungsaufgaben übernimmt oder wirklich Prozesse verändert,muss das auch gelernt haben und können. Dasist ganz klar.» Der grundlegende Zugang unterscheide We Nurse aber doch deutlich von anderenUnternehmen in diesem Bereich. Für Schrepferist dieses von aussen kommende und unternehmerische Denken eine ganz wichtige Eigenschaftdes eigenen Tuns. «Die Schweiz ist auch so erfolgreich, weil hier viele Unternehmer aktiv sind. Daskann man auch auf die Pflege umlegen.»Um nachhaltig zu gewährleisten, dass ihreMitarbeiter unternehmerisch denken, setztSchrepfer auf den für Start-ups äusserst ungewöhnlichen Zugang, aus allen Mitarbeitern beiWe Nurse Mitaktionäre zu machen. «Die Menschen sind anders incentiviert. Das ist auch ihreFirma; wenn das nicht funktioniert, ist es auchihr Ruf. Und Top-Leute wollen auch Verantwortung übernehmen – und dass sich ihre Leistungauszahlt. Das ist bei uns beides der Fall.»Dass das Modell gerade bei starkem Personalwachstum auch Herausforderungen birgt,merkt Schrepfer aktuell erstmals: «Wir haben gerade etwas Fluktuation. Wir merken da schon,dass bei unserem Modell Ab- und Zugänge mitviel bürokratischem Aufwand verbunden sind.»Wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen,müssen sie ihre Aktien nämlich wieder abgeben.«Wir wollen, dass immer nur jene, die auch wirklich aktiv arbeiten, auch mitbestimmen können.»

Trotz dieser Anreize ist für Schrepfer das Finden der passenden Kollegen die grösste Herausforderung für die Zukunft: «Wir suchen ja eigentlich keine Mitarbeiter, sondern Unternehmer undUnternehmerinnen. Das ist nicht immer einfach.»Das liegt laut der 34-Jährigen auch an der generellen Leistungsbereitschaft im Land – Schrepfer wird nämlich auch im Interview nicht müde,zu betonen, dass nur mit harter Arbeit und Leis-tung auch Veränderung möglich ist. «Das fehltmir heute oft, das sehe ich auch in unseren Recruiting-Prozessen.» Damit eckt Schrepfer auchan. Dass sie das Interview mit Forbes am Ende eines Feiertags führt, den sie mit Arbeit verbrachthat, unterstreicht, dass auch Schrepfer ihren Teilleisten will, um Veränderung zu bewirken. «Ichgönne mir schon auch Pausen, aber aktuell isteinfach viel zu tun», sagt sie.Finanziert haben Schrepfer und Hodel dasUnternehmen bisher aus eigenem Geld und demCashflow – mit Ausnahme einer Förderung vonVenture Kick in der Höhe von insgesamt 50.000CHF. Im nächsten Schritt will We Nurse aber einen Convertible Loan lancieren, um das weitere Wachstum zu ermöglichen. «Wir könnenden laufenden Betrieb zwar aus dem Cashflowfinanzieren; um wirklich die Qualität zu steigernund auch zu investieren, brauchen wir aber einfach mehr Geld», so Schrepfer. Sie spricht aktuellvon einer kleinen Runde mit Business Angels, inZukunft könnte aber auch Risikokapital im grösseren Stil genutzt werden – oder Kooperationenmit Stiftungen, um mit zweckgebundenem GeldUnterstützungen anzubieten, etwa wenn Kollegen Weiterbildungen machen wollen. Schrepfernennt das einen «Qualitätstopf».

«Mein grosses Ziel istes tatsächlich, dass jemandaus dem jetzigen Teamin ein paar Jahren den CEOPosten übernimmt.» Alessia Schrepfer

Doch wenn die 400 Mitarbeiter in absehbarer Zukunft das quantitative Ziel von Schrep-«Mein grosses Ziel istes tatsächlich, dass jemandaus dem jetzigen Teamin ein paar Jahren den CEOPosten übernimmt.»Alessia Schrepferfer sind, was ist dann ihr qualitatives Ziel? Siedenkt – erstmals im Interview – einen Momentnach, bevor sie antwortet: «Mein grosses Zielist es tatsächlich, dass jemand aus dem jetzigenTeam in ein paar Jahren den CEO-Posten übernimmt. Denn wenn man so etwas im Kleinenschafft, ist es auch möglich, das im Grossen zuerreichen.» Bis das der Fall ist, fallen vermutlichnoch einige Tage an Arbeit an, darunter vielleichtauch der eine oder andere Feiertag. Sorgen mussman sich um Schrepfer aber keine machen: «Ichhabe immer schon sehr gerne gearbeitet.»

Alessia Schrepfer studierte Pflegewissenschaft,Management and Public Health sowie gerontologischePflege in St. Gallen und Zürich. Sie war fast zehn Jahreals Pflegefachfrau tätig; 2019 ging sie zumGesundheitsbetrieb Emeda AG, wo sie zuletzt auch alsCOO tätig war. 2020 gründete Schrepfer den Inkubatorund Company Builder AS 20, aus dem 2022die We Nurse AG ausgegründet wurde.
Auf Social teilen

Möchtest du uns unkompliziert kennenlernen?

Melde dich für ein kostenloses Erstgespräch
Thank you! Your submission has been received!
Oops! Something went wrong while submitting the form.