Unternehmertum in der DNA
Von der Fachfrau Gesundheit zur Jungunternehmerin des Jahres 2024 des SEF Woman Awards – Alessia Schrepfer, die Gründerin von WeNurse, hat Unternehmertum im Blut. Im Interview erzählt sie von ihrer Vision, ihrer Mission und wieso ein neues Mindset in der Pflege dringend nötig ist.

Von der Fachfrau Gesundheit zur Jungunternehmerin des Jahres 2024 des SEF Woman Awards – Alessia Schrepfer, die Gründerin von WeNurse, hat Unternehmertum im Blut. Im Interview erzählt sie von ihrer Vision, ihrer Mission und wieso ein neues Mindset in der Pflege dringend nötig ist.
Alessia Schrepfer ist im ländlichen Thurgau aufgewachsen und hat eine Lehre als Fachfrau Gesundheit abgeschlossen. Sie studierte Pflegewissenschaften mit Schwerpunkt Management und Public Health im Bachelorstudiengang. Darauf folgte der Master im Fachbereich Gerontologische Pflege. 2020 gründete sie zusammen mit Simon Hodel das Unternehmen AS20, ein Consulting-Unternehmen für den Gesundheitsbereich und Inkubator für neue Business-Ideen, aus dem 2022 das Unternehmen WeNurse gegründet wurde.
Alessia Schrepfer ist ländlich aufgewachsen, genauer im Kanton Thurgau, wo das Thema Gymnasium als prioritärer Bildungsweg nicht unbedingt gefördert wurde. Sie sei zwar immer sehr smart gewesen, beschreibt sie sich selber, doch Vokabeln büffeln und auswendig lernen sei nie ihr Ding gewesen. Lieber hat sie im Deutschunterricht debattiert oder war fasziniert von Vernetzungen und Zusammenhängen im Geschichtsunterricht. Da Schrepfer eher der pragmatische Typ ist, entschied sie sich für eine Lehre als Fachfrau Gesundheit. Darauf folgte das Studium der Pflegewissenschaften mit Schwerpunkt Management und Public Health im Bachelorstudiengang und der Master im Fachbereich Gerontologische Pflege. Nebenbei hat Schrepfer immer gearbeitet, um am Puls des Geschehens zu bleiben. Ihre erste Führungsfunktion als Stationsleiterin erhielt sie bereits mit 23 Jahren. Dass sie den Pflegeberuf von der Pike auf gelernt und immer auf dem Beruf gearbeitet hat, beurteilt Schrepfer als grossen Vorteil in ihrer heutigen Funktion als Personalvermittlerin und Beraterin im Pflegebereich: Sie gilt als besonders glaubwürdig und nahbar und wird sowohl von Teamkollegen, Mitarbeitenden als auch von Kunden gleichermassen ernst genommen.
WOMEN IN BUSINESS: Sie waren 23-jährig bereits in der Führung. Das ist sehr jung für Ihre Branche. Wie sahen Ihre weiteren Karriereschritte aus?
Alessia Schrepfer: Das Führen ist meine Stärke, das wollte ich weiterhin tun. Nach ein paar Jahren in der Funktion als Stationsleiterin zog es mich parallel zum Masterstudium in die Pflegeentwicklung. Mein Ziel: die Führungsteams und die Basismitarbeiter mit Fachexpertise zu supporten. Die interprofessionelle Zusammenarbeit vor allem auch mit der Ärzteschaft faszinierte mich schon immer, deshalb ging der weitere Schritt zur Medicall AG, einer Tochtergesellschaft des Helvetia-Konzerns. Ich übernahm die Projektleitung für das Inhouse-Start-up Emeda, einer mobilen Heimarztpraxis. Dort lernte ich meinen heutigen Mitgründer Simon Hodel kennen, der einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund hat. Wir haben komplementäre Fähigkeiten und sind ein sehr gutes Team. Deshalb haben wir zusammen die Firma AS20 gegründet. Über die AS20 haben wir Consulting-Projekte abgewickelt, damit wir Geld haben, um in weitere eigene Projekte investieren zu können. Die Firma funktioniert auch als Inkubator, wo wir neue Ideen austesten. So ist auch WeNurse entstanden.
Wie verlief die Gründung von WeNurse?
Simon Hodel ist ein innovativer Visionär. Er hat bereits ein Start-up gegründet und hat diese Erfahrung mitgebracht. Im Gegensatz zu anderen jungen Gründern, die zum Beispiel direkt vom Studium mittels Uni-Spin-off kommen, waren wir beide extrem berufserfahren, auch auf C-Level. Das verschaffte uns einen Vorteil. Von Venture Kick haben wir 50 000 Franken erhalten und haben uns teilweise durch die Projektearbeit bei AS20 querfinanziert. Wir sind somit bis anhin komplett eigenfinanziert.
«Ich glaube, dass eine Person nicht gut oder schlecht ist, in dem was sie tut, sondern sie ist am richtigen oder falschen Ort.»
Wie sieht die zukünftige Finanzierung aus?
Wir haben im ersten halben Jahr 2024 einen kleinen Gewinn gemacht. Der Gewinn ist nicht wirklich relevant, aber er zeigt uns, dass es aufwärts geht, wenn es so weiterläuft. Deshalb überlegen wir uns, 2025 eine Seed-Runde mit Investoren zu machen. Im Moment sind wir ein Team von knapp 33 Leuten, davon sind 29 ständig irgendwo im Einsatz als Pflegefachperson oder als Berater auf einem Projekt. Das heisst, wir schmeissen zu viert in drei Vollzeitpensen den Laden. Wir machen alles selbst – das Rekrutieren, die ganze Buchhaltung, Mitarbeiterentwicklung, Sales, Kundenbetreuung und, und, und. Mit einem externen Investment möchten wir den Sprung vom Start-up zum Scale-up machen, indem wir schneller grössere Ressourcen im Team aufbauen können.
Was macht WeNurse genau?
Ein grosser Teil ist Body-Leasing, also Personalvermittlung für temporäre Einsätze in der Pflege. Wir haben aber auch Leute, die für Management-Einsätze geeignet sind. Sei es Stationsleitung, Pflegedienstleitung oder auch Pflegeexperten, Fachexperten – das ist oftmals projektbezogen und geht in den Bereich Consulting. Ausserdem arbeiten wir mit Schulen zusammen, die externe Dozenten brauchen.
Eure Mitarbeitenden sind auch Mit-Inhaber von WeNurse. Wie funktioniert das genau?
Alle Nurses, die für uns oder mit uns arbeiten, erhalten aktuell ab Tag eins Stammaktien, und damit Stimmrecht. Nebst der GV haben wir zweimal jährlich ein Nurse Community Board, wo die WeNurses aktiv mitwirken können. Wenn sie WeNurse verlassen, müssen sie die Stammaktion zurückgeben. Zudem erhalten alle einen Beteiligungsplan, wie sie finanziell mitprofitieren können. Dafür haben die Mitarbeitenden eine Vestingperiode von drei Jahren, das heisst, sie müssen drei Jahre bei WeNurse arbeiten, damit sie finanziell vom möglichen Firmenerfolg mitprofitieren können. Wir wollen die Topshots im System haben und auch halten. Diejenigen, die immer die Extra-Meilen gehen, sollen auch mitprofitieren können, weil das System profitiert, wenn solche Leute im System bleiben.
Sind die finanziellen Anreize wichtig?
In der Pflege gibt es oft entweder pauschal für alle dieselbe Lohnerhöhung oder gar keine, egal wie die Leistungen ausfallen. Das ist demotivierend. Wir wollen, dass die leistungsstarken Mitarbeitenden mitprofitieren und mitreden können. Das sind dann auch die, welche nachher die Projekte umsetzen müssen. Das ist ein unternehmerischer Ansatz und ungewöhnlich für die Branche. Wir können mit WeNurse sehr viel Erfolg haben, weil wir mit einem Team arbeiten und eine Community haben, in der man solidarisch ist und zusammen vorwärts geht.
Wie sieht Ihre Führungsphilosophie aus?
Es muss ein Geben und Nehmen sein. Ich glaube, dass eine Person nicht gut oder schlecht ist, in dem was sie tut, sondern sie ist am richtigen oder falschen Ort. Ich bin davon überzeugt, wer grundsätzlich zufrieden ist mit seinem Job, ist engagiert und motiviert. Es gehört allerdings auch dazu, dass man ehrlich mit sich ist. Im Bereich Personalentwicklung habe ich für mich drei Kernfragen herausgeschält:
Das Können: Bringt jemand die Fähigkeiten mit, um die gestellte Aufgabe zu machen? Oder zumindest die Bereitschaft und das Talent, um gefördert zu werden, damit er diese Fähigkeiten erlangen kann.
Das Wollen: Manchmal hätten Leute die Fähigkeiten und wären geeignet, aber sie wollen eigentlich gar nicht.
Das Machen: Setzt die Person auch zielstrebig um, was sie will?
Was ist Ihre Mission?
Wir suchen Partnerinstitutionen, die die gleiche Vision wie wir haben. Die mit den gegebenen Rahmenbedingungen etwas Positives verändern wollen. Die es schätzen, dass unsere Mitarbeitenden mit einem unternehmerischen Mindset ausgestattet sind und Missstände verbessern wollen. Und die ein Umdenken unterstützen und vorantreiben.
Welches ist der dringendste Missstand, den Sie angehen wollen?
Einer der grossen Missstände ist die fehlende Wertschätzung der Pflegearbeit, konkret die Anerkennung unserer Kompetenzen, was sich auch in der Entlöhnung abzeichnet. Vergleicht man die Löhne von Pflegenden branchenübergreifend mit anderen Arbeitnehmenden, zum Beispiel mit einer IT-Fachkraft, einem Arzt oder einer Juristin, dann denken alle, das ist völlig in Ordnung, dass die so teuer sind. Aber bei Pflegenden ist der erste Gedanke: das sind die netten, lieben Frauen, die Caring machen und die würden das auch gratis tun. Die Pflegefachpersonen auf Tertiär-Stufe haben aber alle ein Studium hinter sich – ein Laie kann deren Aufgaben nicht einfach übernehmen. Es ist eines der Ziele von WeNurse, dass wir unsere Leute in Wirtschaftsmechanismen ausbilden, damit sie wirtschaftlich argumentieren und sinnvoll agieren können.
«Alle Nurses, die für uns oder mit uns arbeiten, erhalten aktuell ab Tag eins Stammaktien, und damit Stimmrecht.»
Woher kommt der eklatante Fachkräftemangel in der Pflege?
Der Hauptgrund liegt darin, dass die Babyboomer jetzt in Pension gehen. Das hat man eigentlich kommen sehen und doch hat man es verpasst, genügend Leute auszubilden, die den Job machen. Ausserdem schwebt die Zahl in der Luft, dass 300 Fachpersonen pro Monat den Job verlassen. Ich kenne viele Frauen, die schwanger werden und aus dem Job aussteigen, weil es keine Anreize für eine Karriere gibt. Dazu kommt, dass die Schichtarbeit, welche eigentlich Vorteile hätte, nicht wirklich zum Vorteil genutzt wird, da die Dienstpläne teilweise sehr knapp rauskommen und somit die Planbarkeit für das Leben rund herum extrem schwierig wird. Ausserdem wird oft wenig Rücksicht auf persönliche Präferenzen genommen, sondern es gilt der Tenor: jeder macht jede Schicht.
Was sind die Ziele von WeNurse?
Rein quantitativ war ursprünglich mal das ambitionierte Ziel per Ende 2026 bei 400 Mitarbeitenden zu sein. Das ist etwas sehr sportlich. Als neues mögliches Langzeitziel würde uns gefallen, wenn es gleich viele WeNurses wie Institutionen gäbe. Mit dem Gedanken, dass jede Institution eine WeNurse beschäftigt. Und dass wir so unser Mindset verbreiten können und die Branche in einen anderen Drive bringen.
Qualitativ möchten wir den guten Ruf, den wir uns erarbeitet haben, noch mehr manifestieren und unser Profil schärfen. Das ist uns bis jetzt, nach den eineinhalb Jahren seit es WeNurse gibt, sehr gut gelungen. Intern ist es unser Ziel, in den nächsten sechs bis zwölf Monaten einen Karrierepfad für unsere Leute zu implementieren, der mehr Unternehmertum, einen positiven Impact und eine andere politische Stimme in der Pflege fördert.
Sie haben den SEF Woman Award für die Jungunternehmerin des Jahres 2024 gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich muss ehrlich sagen, ich hätte nicht gedacht, dass der Preis so viel Positives hat. Ein grosses Highlight war mein Bühnenauftritt in Interlaken. Man hörte mir zu, fand es spannend, was ich aufzeigte. Die Anerkennung für das, was ich tatsächlich tue und zu sehen, dass es Sinn macht, ist ein extremer Motivationsschub für mich. Und für die Firma war es natürlich marketingtechnisch genial. Zudem hat mir der SEF Woman Award ein ganz anderes Netzwerk eröffnet.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Egal, was ich mache, ich möchte es mit Herzblut und Leidenschaft tun. Wenn ich an den Punkt komme, an dem das bei WeNurse nicht mehr zutrifft, ist das der Moment, an dem ich das Zepter übergebe. Aber eigentlich ist das so oder so mein Ziel. Ich möchte in zehn Jahren nicht mehr die CEO der WeNurse sein, sondern würde mich sehr freuen, wenn jemand anders das übernommen hat. Frisches Blut tut gut.
WeNurse wurde 2022 von Alessia Schrepfer und Simon Hodel gegründet. Das Unternehmen ist ein Personal- und Beratungsdienstleister in der Gesundheitsbranche und beschäftigt aktuell 33 Mitarbeitende, die allesamt Mitaktionäre der Firma sind. Im Verwaltungsrat ist ein gewähltes Mitglied der WeNurse-Community stimmberechtigt. Die Firma ist eigenfinanziert.


