Wenn ich's kann, kannst du's auch
Die Amriswiler Jungunternehmerin Alessia Schrepfer über ihre Firma, Frauenquoten und eine kleine Sucht.

Interview: Debora Keller
Was ist im Sommer für Sie ein Muss?
Alessia Schrepfer: Der Bodensee und kalte Drinks, beispielsweise ein Hugo. Am liebsten geniesse ich das gemeinsam mit meiner Familie und meinen besten Freunden.
Was beschäftigt Sie sonst gerade?
Mein Unternehmen WeNurse beschäftigt mich immer. Man muss im Business stets à jour sein. Und privat beschäftigen mich mein Garten und die nötige Gartenarbeit.
Haben Sie ihn umgestaltet?
Ja, erst vor kurzem. Darum achten mein Mann und ich zurzeit sehr auf das Wetter. Besonders auf die Hitze, um zu wissen, wann wir die Pflanzen dringend tränken müssen.
Dann sind Sie in Ihrer Freizeit Gärtnerin?
Eher mein Mann. Er ist da involvierter als ich.
Sie haben keinen grünen Daumen?
Nicht wirklich. Aber mein Mann auch nicht besonders. Wir haben extra Pflanzen ausgesucht, die möglichst selbstständig sind und wenig Pflege bedürfen. Zum Beispiel Apfelbäume.
Alessia Schropfor bei sich zu Hause in Amriswil
Nach sieben Jahren in Zürich ist die Jungunternehmerin zurück in den Thurgau gezogen.
Ihr Mann bezeichnet Sie als Netflix-süchtig.
Da ist die grösste Arbeit wohl das Essen der Äpfel. Als echte Thurgauerin mache ich das natürlich sehr gerne.
Haben Sie einen Lieblingsort im Thurgau?
Ich bin erst seit etwa einem Jahr wieder zurück im Thurgau. Vorher habe ich sieben Jahre lang in Zürich gelebt. Darum erfreue ich mich jetzt an der vielseitigen Natur. Ich gehe oft an den Bodensee. Freunde von mir haben ein Boot. Darauf kann man wunderschöne Sonnenuntergänge sehen. Das ist eine schöne Pause vom intensiven Arbeitsalltag.
Gibt es etwas, wofür Sie absolut nicht zu gebrauchen wären?
Da gibt es wahrscheinlich vieles. Ich bin handwerklich und künstlerisch nicht begabt. Ich würde sehr gerne schön malen oder kreativ basteln können. Oder besser Französisch sprechen. Aber da müsste ich wohl richtig hinter die Bücher.
Er schaut. Unter der Woche habe ich selten Zeit dafür. Ich liebe Thriller- und Krimiserien. Wenn ich eine anfange, kann ich nicht mehr aufhören.
In einem Gespräch auf SRF sagten Sie letztes Jahr, dass Sie jeden Tag mit dem gleichen Lied aufwachen: «Oceans Away» von Arizona. Ist das noch immer so?
Das stimmt nicht.
Haben Sie sich deswegen für das diesjährige KMU-Parlament beworben?
Ja, ganz genau. Man braucht aber Mut, um hinzustehen, sein Gesicht und seine Stimme für etwas einzusetzen. Da kommt nämlich nicht nur Positives zurück.
Witzig, wahr und wissenswert
Wir haben uns vor wenigen Wochen einen manuellen Wecker gekauft. Wir wollen unser Schlafzimmer handyfrei machen.
Was war Ihr letzter Fehlkauf?
Ein zweiter Wecker. Der tickt viel zu laut. Deswegen steht er in der Küche. Mein Mann und ich müssen wohl oder übel weiter immer gleichzeitig aufstehen.
Im Jahr 2011 haben Sie sich zur Nationalratswahl für die Jungfreisinnigen gestellt. Ausserdem waren Sie bis 2018 Aktuarin der FDP Aach Thur-Land. Haben Sie vor, künftig wieder vermehrt in der Politik tätig zu sein?
Ich überlege es mir ernsthaft. Ich weiss aber noch nicht, wie das genau aussehen würde.
Was motiviert Sie dazu?
In der Schweiz sind wir im politischen System privilegiert. Dennoch erstaunt mich jeweils die tiefe Stimmbeteiligung. Und wenn jemand sagt, man könne nichts verändern, finde ich das unverständlich.
Im letzten Jahr sind Sie vom Swiss Economic Forum zur Jungunternehmerin des Jahres 2024 gekürt worden. Was hat sich seither in Ihrem Leben verändert?
Beruflich gesehen hat mir der Preis sehr geholfen. Es haben sich viele Türen für mich geöffnet. Aber wenn man den Moment verpasst und nicht durchmarschiert, schliessen sie sich wieder.
Und Sie sind durchmarschiert.
Hätte ich das nicht getan, wäre ich heute nicht dort, wo ich bin. Ich werde seither ernster genommen. Und ich habe für WeNurse neue Kundinnen und Kunden gewonnen, die ich ohne den Preis wohl nicht erreicht hätte.
Über WeNurse
Die WeNurse AG ist der erste Freelancer-Pool für Pflegekräfte, der seinen Mitarbeitenden gehört. Die Mission des Unternehmens: weniger Hierarchie, mehr Wertschätzung und echte Mitsprache.
Pflegekräfte sollen nicht mehr Befehle empfangen, sondern unternehmerisch denken, Verantwortung übernehmen und innerhalb ihrer Einsätze als Vorbilder agieren. Aktuell beschäftigt die WeNurse AG 40 Mitarbeitende. (dok)
Haben Sie ein verstecktes Talent?
Etwa meine nicht vorhandene Kreativität? In meinem Beruf und privat habe ich ein Organisationstalent. Ich beherrsche das Chaos. Oder besser: Es entsteht gar nie Chaos.
Als Co-CEO von WeNurse ist das bestimmt nützlich. Worauf legen Sie sonst noch Wert in Ihrem Unternehmen?
Ehrlichkeit und Transparenz. Wir haben in unserem Unternehmen flache Hierarchien, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können selbst Aktionäre werden. Dann müssen sie jedoch auch ihren Beitrag dazu leisten. Die Art, wie man kommuniziert, ist dabei enorm wichtig.
Was war bisher das Schwierigste, was Sie in Ihrer jetzigen Position machen mussten?
Ich musste schon zwei Mal Kündigungen aussprechen. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Das ging mir sehr nahe.
Sie waren vor WeNurse auch schon in Führungspositionen, beispielsweise als Abteilungsleitung Pflege im Alters- und Pflegezentrum Amriswil.
Zur Person
Alessia Schropfor kennt die Pflege aus erster Hand und hat sich entschieden, sie grundlegend zu verändern. Die 35-Jährige hat jede Stufe der Pflegekarriere durchlaufen, von der Berufsausbildung zur Fachfrau Gesundheit im Alters- und Pflegeheim Sattelbogen in Bischofszell bis zur Führungskraft. Sie hat in St. Gallen und Zürich Pflegewissenschaften, Management and Public Health sowie gerontologische Pflege studiert. 2022 gründete sie gemeinsam mit Simon Hodel die WeNurse AG in Schönenberg an der Thur. Alessia Schropfor ist verheiratet und lebt in Amriswil. (dok)
Wenn ich dort Probleme hatte oder etwas nicht tun wollte beziehungsweise konnte, hatte ich immer eine Ansprechperson, die eine noch höhere Position hatte als ich. Jetzt gibt es niemanden mehr über mir. Und ich kann Dinge nicht mehr abgeben.
Sie haben sich schon in Ihrer Jugend für Politik interessiert
In der Berufsschule haben Sie Ihre Vertiefungsarbeit zum Thema «Frauen in der Politik» geschrieben. Das Thema hat mich damals brennend interessiert. Im diesjährigen KMU-Parlament hat es beispielsweise viel weniger Frauen als Männer. Es geht mir dabei nicht um eine Quote. Ich will einen Job wegen mir als Person und wegen meiner Fähigkeiten. Aber Frauen werden noch immer anders sozialisiert und anders wahrgenommen als Männer.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich werde manchmal für Vorträge als Speakerin angefragt. Für mich war zu Beginn klar: Das mache ich umsonst. Ich profitiere ja auch davon und werde dadurch bekannter. Bis mir ein Mann und eben nicht eine Frau sagte: Alessia, das macht niemand gratis.
Da hat sich für Sie etwas verändert.
Bei einem Auftritt nach diesem Gespräch haben nebst mir auch zwei männliche über 50-jährige Ärzte gesprochen. Ich sagte den Veranstaltern: Wenn die beiden Männer es gratis machen, mache ich es auch umsonst. Wenn sie etwas dafür erhalten, will ich gleich viel.
Und wurden Sie am Ende bezahlt?
Ich erhielt 500 Franken. Das hat mir gezeigt: Wer nicht fragt oder einfordert, erhält nichts. In einer Position wie meiner muss man für sich einstehen.
Sehen Sie sich auch als Vorbild?
Ich sehe es als Teil meines Auftrags, anderen Frauen zu zeigen: Wenn ich als Thurgauer Dorfkind und gelernte Fachfrau Gesundheit das kann, kannst du das auch.


